giia Segler-Meßner S1 2018-12-21

giia Segler-Meßner S1 2018-12-13

Pecore nere. Racconti. 2005
Das Buch Pecore nere, welches 2005 erschien, enthält acht Erzählungen. Diese achte Erzählungen basieren auf autobiografischen Erfahrungen der vier Autorinnen: Ingy Mubiayi, Laila Wadia, Gabriella Kuruvilla und Igiaba Seco. In folgendem Text wird die ersten Erzählung des Buches Pecore nere: Dismatria, geschrieben von Igiaba Seco, analysiert. Insbesondere wird auf den paratextuelle Rahmen, die narrative Struktur und die Figurenkonstellation der Erzählung eingegangen.
Bei der Erzählung von Igiaba Seco handelt sich um Gegenwartsliteratur. Sie beschäftigt sich mit einem sehr aktuellen Thema, der Identitätsfindung der „seconda generazione di migrazione“. Seconda generazione di migrazione meint hier Kinder deren Eltern nach Italien immigiert sind. Emigrieren Auf italienischer Seite sei das Buch der letteratura di migrazione zugeordnet worden, was aber meines Erachtens den Fokus verschiebt, da es nicht allein um die Immigration geht. Meines Verständnisses nach geht es um die Zerrissenheit der Kinder, zwischen zwei Welten. Dem Ursprungsland und der neuen Heimat.

Der Literaturwissenschaftler Gérard Genette hat den Begriff Partext geprägt. Er unterscheidet zwischen Epi- und Periext. Der Paratext meint Textsorten/- formen die einen Basistext begleiten und die Intention haben Leser in seiner Rezeption steuern. Sie können vom Autor selbst oder von Dritten verfasst werden. Der Peritext ist ein Paratext der direkt und materiell mit dem Ausgangstext verbunden ist. Beispielsweise der Titel, das Cover oder Fußnoten. Epitexte sind Texte die unabhängig und für sich stehen, sich aber auf den Baisitext beziehen. Ein Epitext könnte ein Interview, ein Tagebucheintrag oder ein Brief sein. Die zentralen peritextuellen Elemente des Buches Pecore nere sind das Buchcover, das Inhaltsverzeichnis, Fußnoten, und der Titel. Die deutsche Ausgabe des Buches Pecore nere ist im Reclam Verlag erschienen, in der Reihe der Fremdsprachentexte. Das ist der Grund, weshalb sich keine Aussage über die peritextuelle Wirkung des Covers in der deutschen Ausgabe machen lässt. Die italienische Ausgabe hingegen zeigt künstlerische Portraits der vier Autorinnen und den Namen der jeweiligen Autorin zum Portrait. Daraus lässt sich für den Leser schließen, dass die Frauen im Zentrum ihrer Erzählungen stehen. Im Inhaltsverzeichnis sind die Vornamen der Autorinnen den Erzähltiteln vorangestellt. Besonders auffällig ist hier das Wegfallen der Familiennamen. Das Auslassen des Nachnamens ist eine Besonderheit und könne dazu dienen die Distanz, welche normalerweise zwischen Leser und Autor gewahrt wird, zu durchbrechen. Dieser Art der Formatierung würde begünstigen, dass der Leser eine wesentlich persönlichere und stärkere Verbindung zu der jeweiligen Autorin aufbaut. Diese Verbindung beeinflusst die Rezeption maßgeblich, weil das Verhältnis von Leser und Autor wesentlich persönlicher ist als Normalerweise. Eine weiterer Besonderheit der Reclam Veröffentlichung sind die Erläuterungen im Fußtext, welche den Leser beim Verstehen der Literatur unterstützen. Ebenso wichtig für die Analyse des peritextuellen Rahmen ist der Titel des Buches (Pecore nere) und der Titel der zu analysierenden Erzählung Dismatria. Da der Titel einer Erzählung das Erste ist, was der Leser bewusst als Teil der Erzählung wahrnimmt, beeinflusst er die Rezeption des Lesers besonders stark.
Der Titel des Buches Pecore nere lässt beim Leser als erstes der Ausdruck “essere la pecora nera” zu Deutsch „das schwarze Schaf (in der Familie) sein“ in den Sinn kommen. Dies könnte auf zwei verschiedenen Ebenden interpretiert werden. Zum einen könnte es bildlich gemeint sein, bezogen auf die dunklere Hautfarbe der vier Autorinnen, welche in Italien wohl oft zu der Frage führen würde, ob sie denn „echte“ Italienerinnen seien. Auf der anderen Seite könnte es aber auch sprichwörtlich gemeint sein. Sprichwörtlich in dem Sinne, dass sie die schwarzen Schafe der Familie seien, weil sie sich als Italienerinnen sehen, was sie nicht nur zu schwarzen Schafen in den Familien macht, sondern auch zu schwarzen Schafen für alle die mit Ihnen konfrontiert werden. Auf letzteres deutet ein Epitext mit dem Titel Siamo ancora pecore nere von Igiaba Scego hin. In dem eben genannten Text erzählt I. Scego dass die vier Autorinnen oft gefragt würden ob sie echte Italienerinnen seien, beziehungsweise ob sie sich italienisch fühlen würden und das obwohl alle vier als italienische Autorinnen von Gegenwartsliteratur bekannt sind. Dies zeigt, dass sie für viele Außenstehende nicht einzuordnen sind, weshalb man nicht so richtig mit ihnen oder ihrer Literatur umzugehen wisse. Das Dilemma ergibt sich, wenn bedacht wird, das diese Unsicherheit einizig und alleine durch die Hautfarbe bedingt ist, welche anscheinend überhaupt nicht zu einer erfolgreichen italienischen Autorin passt. Der Titel der Erzählung Distmatria ist ein Neologismus, welcher im Fußtext als „ohne Vaterland sein“ übersetzt wird. Das Wort setzt sich aus dem Neologismus „matria“ und der Negation „Dis“ zusammen. „Matria“ ist wohl eine Anspielung auf das Wort „Patria“, Vaterland umformuliert zu Mutterland. Die Negation weckt das Gefühl, dass es weder ein Vater- noch ein Mutterland gibt. Dieser Schwebezustand, entstanden durch das Gefühl der Unzugehörigkeit, vermittelt dem Leser die Unsicherheit der Hauptfigur. Der Begriff spielt somit auf einen Zustand (oder wie weiter oben im Text beschrieben auf eine Zerrissenheit) Zwischen zwei Lokalitäten an. In der Erzählung von Igiaba Scego geht es aber nicht nur um die Zerissenheit, viel mehr stellt sich für Igiaba Seco und die anderen drei Autorinnen die Frage nach der Identität. Sie fühlen sich italienisch, dennoch haben sie auch einen starken Bezug zu dem Herkunftsland ihrer Familien. Igiaba Seco beabsichtigt nicht ihre Herkunft oder ihren Ursprung zu vergessen, zu Beginn des Textes und auch im Verlauf, wird jedoch subtil die Frage behandelt, ob dieses Vergessen notwendig sei um sich italienisch fühlen zu dürfen.
Besonders auffällig bezüglich der narrativen Struktur ist die Erzählform. Es handelt sich meines Erachtens um eine autodiegetische Erzählerin mit einer internen Fokalisierung. Der Begriff autodiegetisch meint den speziellen Fall des homodiegetischen Erzählers, in welchem sich die Hauptfigur und die Person des Erzählers identisch sind. Wichtig ist hier zu erwähnen, dass nicht geklärt ist ob die Erzählerin und die Hauptfigur eine Person sind, da der Name der Hauptfigur nicht einmal genannt wird. Es kann aber aus dem Text geschlussfolgert werden, dass sich die beiden sehr nahe stehen. Der Begriff Fokalisierung (ebenfalls von Gérard Genette geprägt) beschreibt das Verhältnis von Erzähler und Figur, wie die Fokalisierung geprägt ist, lasst sich von dem Wissensstand des Erzählers ableiten. Eine interne Fokalisierung bedeutet, dass der Erzähler einen Einblick in die Gefühlswelt der Figuren hat. Dadurch, dass die Gefühlsebene der Figuren für den Leser begreifbar gemacht wird entsteht eine Verbindung zur beschriebenen Figur. Der Rezipient ist nun eher in der Lage für eine Figur Empathie zu empfinden und kann sich einfacher mit dem vorgestellten Charakter identifizieren. Ebenso wird deutlich, dass die Geschichte aus ihrem Innenleben heraus erzählt wird „Ecco perché avevo tanta paura quel pommeriggio“ (Dismatria S. 10 Z.5).

Die Erzählung lässt sich in vier Teile gegliedert. In folgendem Absatz habe ich die Teile wie folgt benannt; Einleitung, Von Koffern und Schränken, Angelique und die Auflösung. In dem ersten Teil, der Einleitung (bis S.13 Z.11) bekommt der Leser einen Einblick in den schon bestehenden Konflikt zwischen Mutter und Tochter. Das Augenmerkt dieses Konfliktes liegt in der Zerrissenheit zwischen Herkunfts- und Ankunftsland. Es werden alle Figuren eingeführt und vorgestellt. Die einzige Figur, die anscheinend für sich allein steht und nicht weiter beschrieben wird ist Angèlique. In der Einleitung wird dennoch deutlich, warum Angèlique, eine Figur welche anscheinende gar nicht in das Bild der Familie der Protagonistin passt, dennoch eine wichtige Rolle hat. Die Protagonistin hat beschlossen sich endlich niederzulassen und ihre Koffer auszuräumen, fürchtet sich aber dieses Vorhaben ihrer Mutter mitzuteilen, Angèlique dient zur Unterstützung. Nicht namentlich vorgestellt wird die Hauptfigur. Des Weiteren wird der Ort der Handlung bekannt, dass Haus der Mutter. Der darauf folgende Teil ist jener von Koffern und Schränken (bis S. 22 Z.19. Der im vorherigen Teil eingeführte Konflikt wird anhand der Gegenüberstellung von Koffern und Schränken erläutert. Die Schränke stehen hier als Symbol der Heimat und die Koffer verdeutlichen sehr plakativ das Phänomen der Durchreise. Es wird deutlich, dass der Identitätskonflikt der Ursprung für die scheinbare Uneinigkeit zwischen Mutter und Protagonistin ist. In diesem Teil wird klar, dass sich Somalia (verkörpert durch die traditionsbewusste Figur der Mutter) und Italien (symbolisiert durch die Schränke und die Figur der Tochter) gegenüberstehen und unvereinbar scheinen. Sehr deutlich wird aufgezeigt, dass der Kern des Konfliktes zwischen (und innerhalb) der Figuren auf der Sorge basiert ihre Herkunft zu „verraten“ indem man sich mit der neuen Heimat Italien identifiziert. Im dritten Teil (bis S.30 Z. 17) kommt es zu einer Zuspitzung des interkulturellen Konfliktes, in welchem die Figur der Anèlique als Katalysator fungiert. Auch Angèlique ist immigriert (aus Brasilien) hinzukommt, dass sie eine transsexuelle Identität hat. Sie scheint obwohl sie alles andere als eine einfach einzuordnender Charakter ist, selbstbewusst zu sein und für sich einen Platz in der Welt gefunden zu haben. Angèlique verkörpert die Idee, dass Identität selbst und frei gestaltet werden kann. Sie steht für einen Grad an Liberalität (gemeint ist nicht die freie Wahl der Sexualität sondern die Liberalität des Landes, welches mit seiner demokratischen Verfassung das Ausleben sexueller Diversität ermöglicht), der meines Erachtens von der traditionellen Mutter und Tante der Erzählerin als vorgeschobene Begründung dient, sich in Italien nicht Zuhause zu fühlen. Der letzte Teil (die Auflösung) der Geschichte beginnt mit dem Anfang des Lösens des Konfliktes. Die Protagonistin wird von Angèlique aufgefordert ich zu äußern „“Parlale“, ordinò“ (Dismatria S.30 Z.18). und beginnt mit der Figur der Mutter das Gespräch, welches seit Beginn der Erzählung bildlich formuliert: im Raum stand. Zeitgleich wird dem Rezipienten die Aufgabe der Rolle der Angèlique verdeutlicht. Wie im vorangegangenen Text erwähnt wirkt Angèlique beschleunigend und unterstützt in der Aufarbeitung des Konfliktes. Eine überraschende Wendung der Perspektive auf die Figur der Mutter entsteht, als jene Figur einen plastik Parmesan aus dem Koffer holt. Es wird deutlich, dass sogar für die Figur der Mutter, welche so fest in Somalia verankert schien, Italien nicht bedeutungslos ist. Auch für Sie, stellt sich die Frage nach transkultureller Identität.
Der letzte Teil der Analyse ist die Figurenkonstellation. Zunächst lässt sich zwischen Haupt- und Nebenfiguren unterscheiden. Die Hauptfiguren sind die Mutter, Angèlique und die Erzählerin. Auffallend ist, dass sich die Protagonistin zwischen zwei sehr starken und gegensätzlichen Frauenfiguren befindet. Nebenfiguren sind die Tante, die Cousinen und der kleine Bruder der Erzählerin. In meinen Augen besonders ist: dass jede einzelne Figur benannt und ihr ein bestimmtes Merkmal zugeschrieben wird. Dies geschieht bei allen, außer der autodiegetischen Erzählerin. Die Mutter (Nura Mohammed Jama) und ihre Tochter (Igiaba Seco) verbindet eine familiäre Bande. Nura pocht sehr auf Tradition und auf das nicht Vergessen der Herkunft. Der Sohn von Nura und der Bruder der Erzählerin heißt Omar. Er ist in Italien aufgewachsen und hat deshalb auch keine tiefe Verbindung zu Somalia. Sein Lieblingsspieler beim Fußball ist Francesco Totti- ein italienischer Fußballspieler, auch er steht also in der Mitte, zwischen der westlichen Welt und Somalia. Omar hat aber in der Geschichte eher eine Statistenrolle, bisschen wie die Cousine Zainab über welche man nicht so viel erfährt. Die Cousine Mulki, welche ein absolutes Musikfable hat, istt zwar eine Statistenfigur, bringt aber dennoch Dynamik in die Geschichte. Zur Tante Sofia lässt sich sagen, dass sie wie die Mutter sehr traditionell ist. Im Gegensatz dazu steht die Figur der Angèlique. Eine brasilianische Selbstdarstellerin, welche das westliche, freie Lebensbild verkörpert. Auch sie steht als Transgender im übertragenden Sinne zwischen zwei Welten. Sie geht mit dem vermeintlichen Gefühl der Zerrissenheit, im Gegensatz zur Protagonistin, viel selbstbewusster durch ihr Leben und wirkt glücklich und zufrieden. Ihre Figur übernimmt mit dem beispielhaften Selbstbewusstsein die Helferrolle und unterstützt die Erzählerin.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Erzählung Pecore nere von Igiaba Scego die Frage nach transkultureller Identität aus verschiedenen Perspektiven begutachtet. Meiner Meinung nach kommt sie zu dem Schluss, dass es diese transkulturelle Identität geben muss. Dass Italien und Somalia in einer Figur verbunden werden können und eine Person ihre Wurzeln nicht löschen mussen, um sich in einem neuen Land zugehörig zu fühlen.

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Ein Kommentar

  1. Eine sehr gelungene Überarbeitung, die viele kritische Anmerkungen aufgreift und umsetzt! Die Schreibaufgabe ist klarer strukturiert und enthält alle notwendigen Bestandteile, einzig der Schluss ist ein wenig sehr knapp. Trotzdem gibt es eine Reihe an Schreib- und Interpunktionsfehlern. Auch die Titel und ital. Ausdrücke werden nicht immer einheitlich in Anführungszeichen gesetzt. „Dies zeigt“ am Satzanfang ist stilistisch wenig überzeugend. Insgesamt habe Ihre Ausführungen durch die Überarbeitung sehr an Klarheit gewonnen.Reference

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