antr Segler-Meßner S3 2019-03-15 überarbeitet

Einführung in die italienische Literaturwissenschaft – Frau Prof. Dr. Segler-Meßner WiSe 18/19

Korrektur Gedichtanalyse von Giuseppe Ungarettis „Veglia“ von Andrea Treichel

 

Das Gedicht „Veglia“, welches von Giuseppe Ungaretti verfasst wurde, erschien in der Sammlung „Allegria“. Der italienische Schriftsteller wurde 1888 in Alexandria geboren und starb 1970 in Mailand. Ab 1912 studierte er an der Sorbonne in Paris, kam jedoch zwei Jahre später nach Italien, um dort im Ersten Weltkrieg für das Land zu kämpfen. 1919 erschien die Gedichtsammlung „Allegria di naufragi“ mit Gedichten, die Ungaretti während des Krieges seit 1914 verfasst hatte. Seit der 1931 erschienenen Ausgabe heißt sie nur noch „Allegria“, in der die Grausamkeit des Krieges das zentrale Thema darstellt. Im Folgenden analysiere ich Ungarettis Dichtungskonzept mit Bezug auf den historischen Kontext und sein Gedicht „Veglia“.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahm der Futurismus Einfluss auf Ungarettis Poetik. Filippo Marinetti begründete mit dem “Manifesto del futurismo” von 1909 die erste Avantgarde des 20. Jahrhunderts. Der Futurismus zielte auf eine ästhetische Revolution in der in der Kunst, der Musik und in der Literatur ab. Er grenzte sich klar gegen den Vergangenheitskult und die Tradition ab. Zentral war die Suche nach neuen Ausdrucksformen, welche sich in der Dichtung durch die “parole in libertà” äußerten. Der Einfluss des Futurismus auf das Dichtungskonzept Ungarettis zeigt sich in der Auflösung der klassischen Versstruktur und dem Wegfall der Interpunktion. Durch das freie Versmaß wird sich auf die poetische Struktur der Sprache konzentriert. Außerdem hat die Aufhebung der syntaktischen Strukturen den Effekt, dass Leerräume entstehen. Gegenstand von Ungarettis Sammlung „Allegria“ ist seine Erfahrung in den Schützengräben des ersten Weltkriegs, welcher der Gründungsmoment seiner Dichtung war. Es handelt sich um eine autobiographische Poetik und eine „poesia minimalista“, da Ungaretti seine Dichtung sehr knapp hielt und auf die die Interpunktion verzichtete.

Der erste Titel der Sammlung „Allegria di naufragi“, bedeutet auf deutsch „Heiterkeit der Schiffbrüchigen”, wobei die “naufragi” metonymisch für die Soldaten aber auch für alle Menschen stehen, die vom Krieg betroffen sind und ihre Existenz verlieren. Zudem beinhaltet er ein ein Oxymoron, da sich beide Begriffe gegenseitig ausschließen und den Widerspruch der Situation darstellt und pointiert. Der Titel des Gedichts „Veglia“ hat hingegen eine doppelte Bedeutung. Zum einen deutet er auf das lyrische Ich hin, welches im Schützengraben bei einem getöteten Kameraden Wache hält; zum anderen lässt er auf den Zeitpunkt schließen, an dem das Gedicht geschrieben wurde, welches der 23. Dezember ist, der Vorabend von Weihnachten, auf Italienisch „veglia di natale“ genannt. Da es sich um Weihnachten handelt, wird auch auf eine „speranza“ aufgrund von der Geburt Jesu hingewiesen. Er lässt auf die Hoffnung schließen, die die Menschen zur Geburt des Sohns Gottes hatten. 

Das Gedicht besitzt zwei unterschiedlich lange Strophen, die erste besteht aus 13 und die zweite aus drei Versen. Es ist keine Interpunktion vorhanden und durch das freie Versmaß, wirkt der Rhythmus gebrochen, da es zum Teil Verse mit nur einem Wort gibt. Die erste Strophe besteht aus nur einem syntaktischem Gefüge, siehe „ho scritto“, und auch die zweite Strophe bildet nur einen Satz. Trotz fehlender Interpunktion handelt es sich um zwei syntaktische Gefüge, es sind zwei Sätze zu erkennen. Zudem beinhaltet das Gedicht Binnenreime wie „buttato-massacrato-attacato“ und „nottata-digrignata-penetrata“. Durch den Gebrauch der Verben im Partizip Perfekt, haben diese eine adjektivische Funktion und wirken beschreibend. 

Der Inhalt beider Strophen steht im Gegensatz zueinander. Die erste Strophe beschreibt die Grausamkeit des Krieges, die sich im verzerrten Gesicht des getöteten Soldaten spiegelt. Zum Ende erkennt der Leser schon die Liebe zum Leben, die das lyrische Ich besitzt, durch das Schreiben der “lettere d’amore”. In der zweiten Strophe bekennt sich das lyrische Ich zu seinen Gefühlen und stellt den Kontrast von Leben und Tod, von Hell und Dunkel dar, indem es sich aufgrund der Endgültigkeit des Todes umso mehr daran festhalten will. Während die erste Strophe die Kriegssituation und somit den „morte“ beschreibt, bekennt sich der Dichter in der zweiten Strophe zum Leben, „vita“, und bringt somit seine vitalistische Lebensfreude zum Ausdruck, da er in einem Moment des Todes noch stärker am Leben hängt.

Giuseppe Ungaretti beschreibt in seinem Gedicht „Veglia“ den Krieg auf eine sehr realistische Art und Weise. Er lässt Kriegshandlungen aus und berichtet von Tod und Zerstörung. Die Konfrontation mit dem Krieg führt nicht zur Darstellung eines heldenhaften lyrischen Ichs, da Ungaretti weder die Politik mit einbezieht, noch heroische Taten beschreibt und somit den Menschen in seiner absoluten Verwundbarkeit präsentiert. Es ist eine Poetik des Augenblicks, welche zur Intensivierung der Lebensfreude führt. Da er den Tod so drastisch und grausam darstellt, gewinnt das Leben immer mehr an Bedeutung und Schönheit. Meiner Meinung ist gerade das die Wirkung, die Ungaretti mit seiner Dichtung erreichen wollte. Es ist für mich beeindruckend, dass Ungaretti ausgerechnet im Krieg zur Dichtung gefunden hat und somit einen Weg fand, sich selbst auszudrücken, zu behaupten und seine Erlebnisse zu verarbeiten.

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