masc schaser S2 2017-05-03

Rezension

U.Eckart, Wolfgang. »Schweinemord« und »Kohlrübenwinter« – Hungererfahrungen und Lebensmitteldiktatur, 1914-1918. In: Medizin Gesellschaft und Geschichte. Band 31, (2013), S. 9 – 31.

War die Hungerkrise Deutschlands im Ersten Weltkrieg nur die Folge einer militärischen Strategie Englands? Oder lag das Problem vielmehr an Deutschland selbst? »Schweinemord« und »Kohlrübenwinter« – Hungererfahrungen und Lebensmitteldiktatur, 1914-1918 ist ein vom Medizinhistoriker Eckart verfasster und im Jahr 2013 publizierter Aufsatz in der Zeitschrift Medizin, Gesellschaft und Geschichte, der sich insbesondere mit den inneren Gründen der Hungerlage auseinandersetzt. Dabei geht der Autor auf die Fehlentscheidungen des Kriegsernährungs- bzw. Reichsernährungsamtes, den Kohlrübenwinter, die Reaktionen bzw. Proteste der Bevölkerung und die ernährungspolitische Propaganda ein.

Eckart stellt die provokante These, dass die Hungerlage in Deutschland weitestgehend durch die Regierungsmächte selbst erzeugt gewesen sei.[1] Der Autor bestreitet nicht, dass die Seeblockade Englands keinen Einfluss auf die Ernährungslage Deutschlands gehabt hätte. Seine Absicht jedoch ist zu zeigen, dass Deutschland größtenteils selbst am Hunger Schuld trug und wie mittels Propaganda bzw. strenger Zensur die tatsächliche Gesundheit-bzw. Hungerlage durch die Regierungsmächte verschleiert wurde. Er möchte deutlich machen, dass es sich nicht um nur um eine reine „Aushungerungstaktik“  der Engländer gehandelt hätte.  In erster Linie macht Eckart hierbei die vor dem Krieg getroffenen Vorkehrungen der Regierungsmächte für die Hungerkrise verantwortlich, die auf einen Krieg von kürzerer Dauer als erwartet ausgerichtet waren. So wurden z.B. zu wenig Getreidereserven angelegt. Abgesehen von den mangelhaften Vorkehrungen, schreibt der Autor dem Kriegsernährungsamt einen Großteil der Schuld zu. Er stellt damit die nächste These, dass vor allem die durch das Reichsernährungsamt geführte „Kriegszwangswirtschaft“ dazu beigetragen habe, dass sich die Hungerlage während des Krieges immer mehr verschärft hätte.[2] An dieser Stelle macht der Autor die fatale Preis-und Verteilungspolitik für den Hunger verantwortlich. Zuletzt wird die Propaganda näher beleuchtet. So wurden z.B. Berichte des Gesundheitsamtes überarbeitet, sodass die tatsächliche Lage Deutschlands vor der Öffentlichkeit geheim gehalten wurde. Trotz Propaganda, nahm wegen der sich zuspitzenden Situation, die Kriegsbegeisterung mit der Dauer des Krieges ab. Eckart führt an dieser Stelle genauer aus, welche Bevölkerungsschicht mit dem Hunger am meisten zu kämpfen hatte. Der Autor belegt die angeführten die Thesen mit reichlichen Zitationen, sowohl von Literatur, als auch Quellen. Ein Kritikpunkt an Eckarts Aufsatz ist, dass er von einem Krieg von kurzer Dauer spricht, diese These aber nicht genauer ausführt. An dieser Stelle hätte Eckart präziser und wenigstens den „Schlieffenplan“ kurz anführen können. Was man Eckart noch vorwerfen könnte, wäre, dass die ihm zugrundeliegende Literaturliste größtenteils aus dem 20. Jhd.  stammt. Aktuelle Ausarbeitungen, die den Aufsatz Eckarts ergänzen könnten, wäre z.B. die im Jahr 2016 veröffentlichte Monographie „Klippfisch und Steckrüben. Lebensmittelversorgung der Einwohner […]“ von Christoph Regulski, in der Regulski in seinen Ausführungen u.a. die Ausschreitungen der Öffentlichkeit während der Hungerkrise transparent macht und indirekt die These Eckarts stützt, dass es wegen dem Hunger Proteste gegeben hätte und diese mittels Pressezensur verschwiegen wurden.[3] Was ebenfalls auffällig ist, dass Eckart nicht chronologisch vorgeht, was einigen Lesern das verfolgen bestimmter Ereignisse erschweren könnte.

Abgesehen von den erwähnten Kritikpunkten, scheinen Eckarts Thesen, wie er sie begründet, tragfähig zu sein.   Es lässt sich ein roter Leitfaden in der Argumentation erkennen. Meines Erachtens scheint der von Eckart verfasste Aufsatz, für die Forschung an der Schuldfrage am Hunger in Deutschland von 1914-1918, zitierwürdig zu sein.

[1] U.Eckart, Wolfgang. »Schweinemord« und »Kohlrübenwinter« – Hungererfahrungen und Lebensmitteldiktatur, 1914-1918. In: Medizin Gesellschaft und Geschichte. Band 31, (2013), S. 10.

[2] Ebd. S. 14 – 15

[3] Regulski, Christoph.  Klippfisch und Steckrüben. Die Lebensmittelversorgung der Einwohner Frankfurts am Main im Ersten Weltkrieg 1914 – 1918. Studien zur Frankfurter Geschichte, Nr 60. Wiesbaden; Frankfurt am Main, 1. Auflage 2012

9 Kommentare

  1. Gute Idee mit den beiden Fragen zu beginnen. Der dritte Satz ist mir ein wenig zu lang. Würde den Titel, das Publikationsjahr und die Zeitschrift weglassen, da man die Infos ja darüber hat. Würde stattdessen es so formulieren: „Der Medizinhistoriker Wolfgang Eckart setzt sich, in dem von mir rezensierten Aufsatz, mit den innerdeutschen Gründen der Versorgungslage Deutschlands auseinander“.Reference

  2. Ich muss meinen eigenen Vorschlag verbessern, und zwar:
    Verbesserungsvorschlag:
    „Abgesehen von den erwähnten Kritikpunkten scheinen Eckarts Thesen und Argumentation tragfähig zu sein.“Reference

  3. Verbesserungsvorschlag:
    „Abgesehen von den erwähnten Kritikpunkten scheinen Eckarts Thesen und seine Argumentation tragfähig zu sein.“

    Kein Komma bei:
    „Meines Erachtens scheint der von Eckart verfasste Aufsatz für die Forschung …“

    Insgesamt finde ich deine Rezension sehr gut verständlich und ich finde vor allem auch deine kritische Sichtweise auf den Artikel gelungen.Reference

    1. Tina hat leider schon alles vorweggenommen 🙂 Finde den letzten Teil dieses Absatz auch sehr gut. Die Kritik an der verwendeten Literatur verdeutlicht, dass du den Forschungsstand kennst und gut recherchiert hast

      Ich wiederhole zwar was Tina gesagt hat, aber aus deinem großen Absatz sollten wenigstens zwei werden. Der große Block hat mir das Lesen doch deutlich schwieriger gemacht als zum Beispiel bei Tinas RezensionReference

  4. Fußnoten sind in einer Rezension nicht nötig. Ich finde es aber gut, dass du den Bezug zur aktuellerer Literatur herstellst. Insgesamt könntest du ein paar mehr Absätze einbauen, um die einzelnen Thesen leserfreundlich voneinander abzugrenzen. Ein Absatz bietet sich vor „Der Autor belegt die angeführten Thesen mit reichlichen Zitationen,…“ an.

    Keine Kommas bei: „Trotz Propaganda nahm wegen der sich zuspitzenden Situation die Kriegsbegeisterung mit der Dauer des Krieges ab.“

    Es heißt „wegen des Hungers“ 🙂

    Ich finde es gut, dass du Eckarts Thesen kritisch betrachtest und dies auch gekonnt begründest.Reference

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